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»Ohrringe« von Shady-Lane Struck

Ihre Augen wandern durch den Raum. Angestrengt beobachtet sie die kleinen Grüppchen aus Menschen, die sich aneinander vorbeiquetschen. Dies stellt sich als äußerst beschwerlich heraus.
Regale, versperren ihr die Sicht.
Leicht kneift sie ihre Augen zusammen; nichts darf ihr entgehen.
Langsam lässt sie ihren Blick über die Menschen mit ihren türkisen Einkaufstüten hinwegschweifen. Die prall gefüllten Schuhregale, die einzelnen Schuhpaare, die auf dem Boden liegen, über die man zu stolpern droht. Die kunstledernen Handtaschen, um welche sich vor allem Jugendliche tummeln. Die kleinen Stände unzähliger Sonnenbrillen, die das grelle Licht nicht reflektieren. Beim längeren Hinsehen brennen ihre Augen.
Sie blickt über die Modepüppchen, deren Outfits sie nicht annähernd so kombiniert hätte. Sieht Pyjamas, und denkt an einen grauen Regentag, ihr Bett und Kakao.

Vor einem Schmuckregal bleibt sie stehen. Ruhig bleibt sie, die Bewegungen kontrolliert. Ihre Venen pochen, ihr Herz klopft wild. Kleine Schweißperlen bilden sich auf ihrer Stirn. Sie beißt sich auf die Lippe, eine unsinnige Angewohnheit. Ihr linkes Auge beginnt zu zucken. Der Geräuschpegel um sie herum steigt.
Das schrille Lachen einer Teenagergruppe erhascht für einen Moment ihre Aufmerksamkeit.
Eine Durchsage. Sie erstarrt, als durchzucke ein Blitz ihren Körper, alles um sie herum erscheint ihr auf einmal leicht verschwommen. Bloß ein falsch parkendes Auto. Das Zucken im Augenlid hat sich verstärkt. Langsam schließt sie ihre Augen, in der Hoffnung, es würde sich legen.
Nimmt einen tiefen Atemzug
Kontrolle.
Sie atmet aus und schlägt ihre Augen auf. Noch immer zuckt ihr Augenlid in regelmäßigen Abständen, doch es hat sich etwas beruhigt, Sie will sich davon nicht weiter beirren lassen.
Zwei Mal noch blinzelt sie, dann sieht sie sich um, ihre Augenbrauen leicht zusammengezogen.
Links der Ausgang.
Mit festem Blick setzt sich in Bewegung.
Kontrolle,
Sie spürt, wie sich ihre Körpertemperatur ändert, kalt und heiß. Adrenalin schießt durch ihre Venen. Sie bemüht sich, ihre Schritte in einer Geschwindigkeit zu halten.
Nicht rennen.
Aus dem Augenwinkel nimmt sie die Menschen um sich herum wahr, wie sie sich durch die Gänge drängeln. Eine Strähne löst sich aus ihrem Zopf, sie streicht sie mit einer gekonnten Bewegung aus dem Gesicht.
Lächelnd geht sie an Menschen, vorbei, ihr Herz springt in ihrer Brust.
Ein letztes breites Lächeln, bevor sie schlussendlich den großen Laden verlässt.
Erst als sie das riesige Einkaufszentrum verlässt und der frische Wind ihr entgegenweht, ihre Haut abkühlt, beginnt sich ihr Herzschlag, ihr Atem zu kontrollieren. Vorsichtig hebt sie ihren Arm, leicht angewinkelt. Ein paar Ohrringe rutschen ihr in die andere Hand. Sie betrachtet sie lächelnd. Dann steckt sie die Ohrringe wieder ein und setzt ihren Weg in aller Ruhe fort.

Shady-Lane Struck © Literaturhaus, Fotografin Sophie Daum
Shady-Lane Struck © Literaturhaus, Fotografin Sophie Daum

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