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15. Juli 2016 / Frühjahrskurs 2016
von Linda Schyma

Plüschtiertaube im Baum.
Du wackelst vor dich hin; es ist warm.
Es ist warm hier am Fenster, stickige Luft, menschlicher Nestbautrieb. Du sitzt da und wackelst, weil du weißt, dass da jemand kommt. Bald flattert die andere heran und wärmt dich; sie drückt ihren runden, weichen Körper an deinen und dann seid ihr Turteltauben. Die grünen Zweige um dich herum wiegen sich im leichten Wind; die Abendsonne verschwindet, wirft rote Reflexe auf die hohen Fenster des Gebäudes; es sieht aus wie ein Hotel, ist aber keines, hier wohnen Menschen; unten ein Mann, seine Plastiktüten rascheln; unbeholfen lenkt er sein Fahrrad zur kleinen Mülltonne.
Ihm ist kalt. Er spürt nicht die Wärme, die dich umfängt; er spürt nur die Kühle der Bierflasche in seiner Hand; es ist keine Pfandflasche und er legt sie wieder weg; seine Schritte sind schlurfend, schleppend; er weiß, dass da niemand kommt; heute Abend ist er allein mit seiner Tütensammlung.
Die Sonne sinkt weiter herab und der Reflex wandert ein Fenster tiefer; golden gelb erleuchtete Glasscheibe; durch sie dringt kaum Wärme; Glas ist kalt, es trennt; es trennt dich von denen, die dich beobachten, Taube, es trennt dich von den Menschen in ihren Häusern, die gerne jemanden hätten wie dich, plüschig, rund, schön anzufassen, einfach da, kugelig, warm.
Glas ist kalt und die Blätter zittern im Wind; Insekten schwirren heran. Irgendwo gröhlen Menschen; sie tanzen und singen Lasst die Gedanken weiter tanzen.“ Aber sie sind längst weg, die Gedanken; diese Menschen sind abgeschaltet, spüren kein warm mehr, kein kalt; sie folgen Impulsen, die ihr Anführer gibt. Lasst doch noch einen saufen.“
Plüschtiertaube im Baum. Dir ist das egal; dir ist egal, was diese Leute denken, die Feiern waren, die ein Bier und noch eines leertrinken und an die Mülltonne stellen, dir ist egal, wann die Flaschen mitgenommen werden; dir ist egal, wo sie heute Abend schlafen; du weißt, der Ast unter dir ist fest; dein Körper ist warm; du bist eine Taube.
Aber du bist nicht taub. Du hörst das Glucken, das Gurren, du hörst, wie sie dich ruft, die andere; du weißt, dass ihr bald Turteltauben sein werdet. Du hörst nicht, wie sich die gepiercten Leute vor dem abgeranzten Schuppen um die Ecke versammeln, ihre stacheligen Köpfe zusammenstecken; zusammen, aber allein; du weißt nicht, was sie denken, warum sie voller Wut sind, warum so hitzig, zu heiß; du hast kein Verständnis für menschliche Wärme oder Kälte, für Ausgrenzung oder Freundlichkeit, du weißt nicht, was es heißt, sich zu verlieren.
Du hast dich nie gefunden.
Aber du wackelst vor dich hin und du bist warm.
Ich mag dich gern, Plüschtiertaube im Baum.

2. Juli 2016 / Frühjahrskurs 2016
von Laura Klinkhammer
Wie sie in der Stadt herumlungern. Sie besetzen, sich einnisten und alles mit ihrer Anwesenheit beschmutzen. Überall ihren Dreck verteilen. In den schäbigsten Ecken und dunkelsten Nischen in ihrem eigenen Unrat hausen.
Du machst einen Bogen um die Orte, an denen sie sich sammeln. Meidest bestimmte Straßen und nimmst Umwege in Kauf. Doch es sind einfach zu viele. Du kannst ihnen nicht aus dem Weg gehen, kannst sie nicht ignorieren. Sie stören dich. Alle.
Du würdigst sie keines Blickes, selbst ein abschätziger erscheint dir zu viel. Für diesen Abschaum hast du noch nicht einmal Mitleid übrig. Es schüttelt dich, wenn sie immer wieder ungewollt dein Blickfeld kreuzen.
Schmutz und Dreck bedecken ihre verkrüppelten, vernarbten Glieder. Ihre zerrupften Kleider lassen bis zur pockigen, kranken Haut blicken. Ja, krank – krank sind sie. Alle.
Du hältst die Luft an, wenn du schnellen Schrittes an ihnen vorbeiziehst. Der Gedanke an eine Berührung mit ihnen lässt dich würgen. Du weichst hastig aus, wenn sie sich dir nähern. Dir wird bereits übel, wenn sie dir zu nahe kommen – wenn sie etwas von dir wollen, wenn es etwas zu holen gibt.
Es widert dich an, wie sie in Resten stochern und alles vom Boden klauben, was hinab fällt. Wie sie das Beste an sich reißen, rücksichtlos aufeinander einhacken und alles nehmen, was sie kriegen können. Und wenn es nichts mehr holen gibt, belagern sie den Nächsten. Wie erbärmlich sie sind. Alle.
Ihr eintöniges Gegröhle belästigt dich. Sie geben keine Ruhe. Du willst sie anschreien, sie verscheuchen, vertreiben, los werden. Aber es hilft nichts. Sie ziehen weiter – und kommen wieder. Immer und immer wieder. Ziehen ihre Kreise, und doch landen sie immer wieder vor deinen Füßen.
Wie nutzlos, gar überflüssig diese Kreaturen sind. Wenn es sie nicht geben würde – die Stadt wäre schöner ohne sie, es würde allen besser gehen. Sie sind eine Last. Für alle.
Das weißt du.
Du kennst sie.
Alle.

8. Juni 2016 / Frühjahrskurs 2016
von Linda Schyma

Warum schreibe ich? II

Das ist Wermuth. Wermuth ist Chefobervogel in meinem Kopf; Sie krabbelt gerne auf der Stange in der Ecke herum und ist mit Stolz und Würde gekrönt. Nie vergisst sie, das zu betonen und knabbert an der gelben Kette um ihren Hals, an der eine Muschelschale mit einem kreisförmigen, sauber gestanzten Loch hängt, aus dem man das Rauschen der Unterwasserhöhle von Nagua hören kann, wo der Jaguar seit Jahrhunderten seinen dicht bepunkteten Kopf gegen Stalaktiten stemmt, immer und immer wieder; bis das Tropfen der Stalagmiten auch seinen Schädel aushöhlt und ihn fortschwemmt, dahin, wo die kleine Schwester Wermuths an einem Wurm herumreißt, der nicht die Kraft aufzubringen weiß, seinen halbierten Körper aus der Gefahrenzone zu ziehen, robbend die gummiweichen Glieder streckend, sich krümmend wie Wermuths Kontaktlinsen, die der praxisleitende Veterinär ihr mit höchster Präzision ins rot gefiederte Gesicht gesetzt hat, nicht, ohne auf seinem rot glühenden Gesicht einen Domino-Effekt auszulösen, dessen fallende Falten Wermuth zu verstören wussten.

6. Juni / Frühjahrskurs 2016
von Linda Schyma

Warum schreibe ich?

Ich schreibe das, was mich aufzehrt, was mich ehrt und das, was mich zerrüttet, das, was man so verschüttet und das Belanglose, wie die lange Jogginghose oder die schrecklich verkappten Vögel in meinem Kopf, die nur dann singen, wenn ich die Tasten meines Laptops berühre.

Beim Schreiben geht es mir darum, diese bunten Tierchen kennenzulernen und, wenn es gut läuft, gesellschaft-politischliche Zusammenhänge zwischen flauschigem Bauch und Schnabel aufzudecken, möglichst viel von ihrer trillernd-schrillen wörtlichen Rede mitzuschneiden und irgendwie benommen darüber zu fantasieren, was sie meinen könnten.