»Max, wer zur Hölle ist das jetzt?«, blafft mein Vater aus der Küche.
»Woher soll ich das wissen?«, rufe ich durch die zwei Meter Flur, die uns trennen.
»Ja, dann mach auf, du Hohlkopf.«
»Hausaufgaben«, gebe ich als Antwort und schließe die Zimmertür mit dem Fuß.
Wieder Türklingeln. Diesmal länger.
Geschirr klirrt. Meine Mutter nörgelt in Richtung meines Vaters: »Ach, jetzt mach auf, Harald. Es gibt gleich Essen.«
Man hört es kurz schlurfen, dann ein Piepton.
»Wer is'n da?«, hör' ich dumpf.
»Ich muss mich dringend mit Ihnen über Ihren Sohn unterhalten. Ich bin die Mutter von Thomas«, klingt es schrill bis in mein Zimmer.
»Haben sie kein Zuhause? Wir essen grade.«
»Entweder Sie reden jetzt mit mir oder ich wende mich direkt an die Schulleitung.«
Drrrrrt.
Mein Vater flucht leise: »Max, was zur Hölle?«
Ich merke plötzlich, wie heiß es in meinem Zimmer ist.
Ich pausiere mein Spiel und stehe leise auf.
Ganz langsam schleiche ich zum Fenster.
Schritte hallen im Treppenhaus.
Die Geräusche aus der Küche verstummen.
Ich öffne mein Fenster, doch die Luft draußen ist fast genauso schwül und stickig wie drinnen.
Die Schritte werden immer lauter.
»Guten Abend.«
»Worum geht's denn?«
»Ich bin die Mutter von Thomas.«
Unten fährt ein Auto vorbei, sodass ich nicht höre was mein Vater antwortet.
Ein verärgertes Räuspern.
Er hat Mörderlaune.
»Und?«
»Nun, werden sie mich wohl mal hereinlassen?«
Ich schleiche zurück zur Zimmertür.
Mein Vater steht breitbeinig im Wohnungseingang wie ein Cowboy vor dem Schusswechsel.
»Wenn's muss.«
Ich ahne, wieso ich den Türspalt, durch den ich gucke, so schmal wie möglich mache.
Was muss der kleine Scheißer grade heute zu seiner Mama rennen.
Zwei Stockwerke tiefer und ich würde durch‘s Fenster abhauen.
So sitz ich in der Falle.
Sie setzt sich unaufgefordert an den Küchentisch und gibt sich auch sonst große Mühe allen ihre Empörung klarzumachen.
»Hätt‘ ich mir ja denken können, dass ihr Sohn Ihnen davon nichts erzählt hat. Ich kann kaum glauben, dass solche Leute auf dem Gymnasium sind. Unglaublich, dass es solche Leute heutzutage überhaupt noch gibt. Meiner Meinung nach sollte man die gleich in den Jugendknast stecken, eine Zumutung ist das.«
Als würde sie über einen Verbrecher reden. Am liebsten würde ich in die Küche stürmen und ihr eine verpassen.
Ich balle meine Faust.
Mein Vater brummt ärgerlich:
»Über wen red'n Sie überhaupt. Hören Sie, ich hab keine Zeit für sowas.«
Sie kreischt ein empörtes: »Um wen es geht? Na, Ihr Sohn.«
Mein Vater zieht die Augenbrauen nur minimal weiter nach unten.
»Ich werde nicht weiter zusehen, wie so jemand unsere Kinder terrorisiert. Es ist eine Güte, dass ich nicht direkt zur Schulleitung gegangen bin.«
Endlich piepst mal meine Mutter: »Was soll er denn gemacht haben?«
Mein Vater hinterher: »Sie tun ja als wär der … Ja, weiß ich, ein ...«
Die Frau schnappt nach Luft, unterbricht vehement und schildert meine Verbrechen. Oder was sie sich einbildet, was meine Verbrechen seien.
»Ihr Sohn macht meinen Thomas vor der ganzen Klasse fertig. Schubst ihn vor allen umher. Letztens ist er mit einer ganz verdreckten Jacke und einer blutigen Nase nach Hause gekommen. Er soll ihn schon mehrmals geschlagen haben. Thomas ist knapp daran, depressiv zu werden. Sein Pausengeld hat er ihm auch abgenommen.«
»Max hat genug Geld.«
»Und? Er macht es ja trotzdem. Wahrscheinlich macht es ihm Spaß.«
»Max ist ein ordentlicher Mensch. Er würde nie jemandem Geld abnehmen, er hat ja auch gar nichts, wofür er es ausgeben müsste.«
»Ja, wer weiß, für was er das Geld ausgibt. Vielleicht ist er ja abhängig....«
Ich umfasse schon den Türgriff, bereit dazu zu stürmen. So eine gequirlte Scheiße.
»NUN PASSEN SIE MAL AUF. SIE STOLZIEREN HIER SO REIN, STÖR'N UNSER'N ABEND UND BEHAUPTEN UNSER SOHN IST EIN VERBRECHER UND EIN JUNKIE.«
»Ja was wissen Sie denn. Glauben sie wirklich so ein Mensch wäre ehrlich zu seinen Eltern. Die machen da alle mit. Die Lehrer dulden das. Ein Messer soll er auch mit sich herumtragen.«
Meine Mutter keift zurück: »Aha und ihr Sohn sagt immer die Wahrheit, vielleicht hat er sich das alles nur ausgedacht und gibt das Geld selber für Drogen aus.«
»Max. Komm her«, brüllt mein Vater.
Ich gehe zu meinem Schreibtisch, lege meine Kopfhörer mit einem hörbaren Knall auf den Tisch und schlurfe so ruhig wie möglich zur Tür.
»Boah, was is denn?«
Keine Antwort.
Ich schlurfe durch den Flur und stelle mich neben meinen Vater, der mit verschränkten Armen still neben der Tür steht. Meine Mutter lehnt an der Spüle und lächelt mir kurz zu.
»Max, diese Frau behauptet, du würdest ihren Sohn terrorisieren.«
Mein Vater sieht aus, als würde er gleich platzen.
Thomas’ Mutter sitzt am Tisch und klackert mit den Fingernägeln auf der Plastiktischdecke herum. Ich sage: »Aha, welcher Sohn. Es gibt so viele.«
»Max, lass den Scheiß, was hast du mit diesem Thomas zu tun?«, brummt mein Vater erstaunlich selbstbeherrscht.
Ich zucke mit den Schultern.
»Wir sind in der gleichen Klasse.«
Thomas’ Mutter schnaubt. »So ein Unsinn. Ich hab seine Nase doch gesehen.«
»Was soll mit der gewesen sein?«, frage ich.
Mein Vater hat sich etwas beruhigt, wahrscheinlich, weil jetzt mein Wort gegen ihres steht.
Sie holt Luft.
Bevor sie erneut etwas sagt, schreitet er ein:
»Max, geben wir dir zu wenig Geld?«
»Nene, alles gut.«
»Noch irgendwelche Fragen?«, wirft er in den Raum.
Ich zucke mit den Schultern, Thomas Mutter guckt pikiert.
Sie ist gegangen. Mein Vater macht sich sein drittes Bier auf und schickt mich auf mein Zimmer.
Der Lieferservice, für den er arbeitet, entlässt zurzeit viele Mitarbeiter und andere Stellen sind rar.
Und ich, sein Sohn, der der aufs Gymnasium geht – sein ganzer Stolz, überall gibt er mit mir an. Ich soll jemand sein, der andere Kinder schlägt, ihnen das Geld abnimmt und sich darauf einen runterholt?
Thomas ist so ein blöder Schönling. Hält sich für superschick, superschlau. Kaum 1,70 groß, Babygesicht, gegelte Haare. Kein einziges Gesichtshaar, belästigt ständig Mitschülerinnen. Und die finden's sogar noch gut.
Ein Typ, den auch mein Vater zum Kotzen finden würde.
Denke ich, während ich angespannt darauf warte, dass er hereinstürmt.
Das hat den Effekt, dass ich mich umso doller erschrecke, als er es tatsächlich tut.
Er baut sich vor mir auf. »WAS WAR DAS DENN? Hast du diesen Thomas geschlagen?«
»Die Alte lügt, das stimmt nicht.«
»Aber die wird ja wohl nich wegen nichts gekommen sein?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Rück raus und lüg mich nicht so dreckig an.«
»Hab ihm vielleicht ma'n Bein gestellt. Er hat provoziert.«
Seine Augen zucken und wandern, er blinzelt, überlegt. Ich rieche seinen Bieratem.
»Du entschuldigst dich bei dem, gleich morgen«, brüllt er mich an. Ich wische mir Spucke aus dem Gesicht.
»Am Samstag?«
»Und ob. Du weißt ja wohl, wo er wohnt.«
»Pff, vergiss es!«
Watsch.
Schulhofreflexe lassen meine Hand zum Gegenschlag vorschnellen, er greift sie mit einem eisenharten Griff.
Ich versuche, mich zu befreien, er gibt mir noch eine Ohrfeige.
Ich sage jetzt nichts mehr, gucke weg.
Er bleibt noch drei Sekunden stehen, stürmt aus dem Zimmer.
Am nächsten Morgen wache ich auf, aber es fühlt sich an, als hätte ich keine Sekunde geschlafen. Ich ziehe mich an. Meine Tür quietscht, so langsam ich sie auch bewege.
Ich schleiche durch den Flur, komplett lustlos auf eine Konfrontation.
Auf dem Tisch im Flur liegt ein Briefumschlag mit »MAX« drauf.
Ich will nicht, aber öffne ihn trotzdem.
»Max, tut mir leid, das mich gestern so aufgeregt habe. Hier sind zehn Euro. Lad damit Thomas ein und klär das. Noch diese Woche! Und wehe, diese Frau meldet sich hier nochmal.«
Jetzt soll ich den Wichser auch noch einladen? Auf meine Kosten? Die zehn Euro werden mir ganz sicher vom Taschengeld abgezogen.
Das einzige, was ich grade mit Thomas machen will, ist ihn ersäufen.
Ich gehe in Richtung Fluss, ein matschiger Weg zweigt von der Straße ab.
Ich nähere mich dem Rand der Siedlung, kleine Häuser, die meisten senfgelb gestrichen, mal eins babyblau. Die Sommersonderangebote im Baumarkt scheinen einige verpasst zu haben, die genau 2m-x-2m-großen Blumenbeete erschrecken fast mit einer Diversität, wie sie der Rest der Gartendekoration gut gebrauchen könnte. Im Wettbewerb um die spießigste Gemeinde Deutschlands sind nur Gartenzwerge, pseudo-antike Plastikstatuen und gelegentlich ein Koi-Teich erlaubt und wir liegen aussichtsreich im Rennen.
Ich hasse es hier.
Ich biege ins kleine Waldstück ab.
Der Fluss schwappt, Vögel zwitschern, Insekten summen, in der Ferne jault ein Rasenmäher auf.
Ich weiß nicht, wohin ich will.
Von Zuhause weg, das auf jeden Fall.
Der Wald wird dünner, ein hohes, gelblich-beiges, unscheinbares Haus kommt in Sicht.
Es hat Gitter vor den Fenstern.
Die Psychatrie.
Ich bleibe kurz stehen. Weiße Gardinen verstecken die, die dahinter vegetieren.
Ob auch so richtige Psychopathen dabei sind? So kaltblütige Mordmaschinen?
Oder sind das einfach arme Irre die mit der Engstirnigkeit dieser beschissenen Gegend nicht klar gekommen sind und sich umbringen wollten?
Oder vielleicht sind sie wie ich, irgendein beschissener Streit und sie ham's nie aufgelöst. Ham die Zehn Euro für Kippen ausgegeben, sind von der Schule verwiesen worden und alle ham sie für Satan höchstpersönlich gehalten. Gerüchte verbreiten sich hier schnell und jeder kennt jeden. Dann mussten sie hier versteckt werden.
Ich hole mein Feuerzeug raus und zünde die Nachricht von meinem Vater an.
Lasse den brennenden Zettel fallen.
Der Wind verteilt die Asche über der Wiese.
So sehr Unfall war das mit der Nase nicht.
Thomas und ich stehen auf das gleiche Mädchen. Deswegen beim Fußball: Ellbogen ins Gesicht. War ein bisschen extra, hat aber nicht so ausgesehen. Hab selber total geschockt getan. Keine Ahnung wie seine Scheiß-Psychomutter da jetzt drauf kommt. Er schleimt sich immer so mega bei Antonia ein. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihm mal ‘nen Korb gibt oder so.
»Verfickte Scheiße.«
Ich spucke auf die Blumen am Wegesrand.
Extra die schönsten.
Ich habe so negativ Lust den kleinen Wichser einzuladen.
Ich hau lieber ab. Trampen.
Aber dann hat Antonia diesen Scheißer an der Backe, der wegen so Kleinigkeiten gleich seine scheißverklemmte Spießermutter auf mich hetzt.
Hmm.
Antonia arbeitet heute glaub ich in der Altstadt.
Hilft da ihrer Tante auf so ‘nem Markt oder so.
Vielleicht krieg ich bessere Laune, wenn ich sie seh.
Ein Plakat.
Mittelaltermarkt am Rathaus. Eigentlich hasse ich Mittelaltermärkte.
Und Thomas wohnt auch in der Altstadt.
Ganz sicher, werde ich nicht zu ihm gehen.
Aber ich laufe weiter.
Vielleicht hoffe ich ja auch, ihn zu treffen.
Dann haue ich ihm wirklich eine rein.
Es ist ätzend schwül. Auf unserem quadratischen Marktplatz, umgeben von kitschigen Fachwerkhäusern stehen Stände: Schnickschnack, Leinen- und Kettenhemden, Brieföffner in Form von Schwertern und Scheißmarmelade so weit das Auge reicht.
Ich halte nach Antonia Ausschau.
Ich glaub sie verkauft auch Marmelade.
Ich schlendere so zehn Minuten, bis ich ihre Tante sehe. Glaub ich zumindest, dass sie das ist.
Aber Antonia ist nicht da.
Ich stehe unschlüssig vor dem Stand.
Die Frau schaut auf. »Kann ich dir helfen?«
»Öhh, um genau zu sein...«
Sie grinst. »Du suchst bestimmt Antonia. Die is schon vor ner halben Stunde los.«
Ich grinse debil.
»Sag mal, eben war noch ein anderer Junge da, so‘n blonder, der hat auch nach ihr gesucht. Wer von euch is denn jetzt ihr Freund?«
Kurz sackt mein Gesicht nach unten, doch ich fange mich und hebe vielsagend die Augenbrauen.
»Ähh, wo is sie denn hin?«
Sie lächelt mich an. Fährt mit ihrer Arbeit fort.
»Zu einem von euch beiden glaub ich, wer auch immer das jetzt ist.«
Ich eile mit geballten Fäusten durch die Gassen.
Jeder Schopf langer brauner Haare verdoppelt meinen Herzschlag.
Ich versuche mich zu beruhigen und biege in eine dunkle Seitenstraße ab.
Thomas wohnt ganz nah, das weiß ich.
Wenn er noch nich‘ zu Hause is, muss er hier auch vorbei.
Ich schlendere vorbei an den letzten Ständen des Marktes.
Bleibe an einem Waffenstand stehen, gucke mich um, doch nur der Verkäufer döst einsam in einem Campingstuhl. Streitäxte, Hellebarden, Morgensterne verkauft er.
Ich starre die Morgensterne an.
Jetzt ist der Morgenstern in meinen Gedanken. Und Thomas Kopf gleich daneben.
Doch nach einer Weile lebhafter Gewaltfantasien ziehe ich mich etwas in den Schatten zurück, in einen tiefen Hauseingang und warte. Man sollte mich von der Straße kaum sehen können.
Wenn Antonia wirklich zu Thomas will kommt sie vielleicht auch hier vorbei.
Ich werde ungeduldig, doch nach drei Rollator-Omas kommt jemand. Es ist Thomas, ohne Antonia.
Ich balle meine Faust.
Er guckt nur verträumt in die Gegend.
Schritte erklingen knapp neben mir.
Ich schwinge mich aus dem Hauseingang, er rennt in mich rein, stolpert kurz nach hinten.
Ich stürze wutentbrannt nach vorne, packe ihn am Schlafittchen, drücke ihn an das Schaufenster einer Änderungsschneiderei. »Du kleiner Scheißer. Was is' eigentlich falsch mit dir?«, zische ich.
Wir sind grade noch in Sichtweite des Waffenstandes, doch der Verkäufer hat seine Mütze tief im Gesicht. Thomas is die Luft weg, seine Augen sind weit offen und gucken mich verwirrt an. Ich packe ihn noch fester und hole zum Schlag aus. Er versucht, mich zu treten und wedelt mit seinen Armen, aber mein Arm, mit dem ich ihn an die Wand drücke, ist länger.
Ich trete ihm in die Eier.
Lasse ihn los. Er lehnt gekrümmt an der Wand, schnappt nach Luft.
»Max«, keucht er kurz. Ich stehe mit geballter Faust vor ihm.
Er rappelt sich auf, fängt sich noch eine Backpfeife.
Er hat Tränen in den Augen.
Plötzlich stürmt er auf mich los, wirft sich auf mich drauf.
Ich bin so überrascht, ich falle mit ihm um.
Knack.
Meine Nase schmerzt. Ich spüre etwas Warmes.
»Is doch nich meine Schuld, dass Antonia mich geiler findet.«
Er sitzt auf mir.
Wamm. Sein Kinn.
Er schwankt.
Ich umklammere ihn und drehe mich auf ihn drauf.
»Und, hat sie schon deine Psychomutter kennengelernt?«
Ich versuche tough zu bleiben.
Wir liegen auf dem Boden, ich umklammere ihn fest.
»Meinst du Antonia findet dich jetzt besser?« keucht er.
»Was willst du die ganze Zeit mit Antonia, deine scheiß Mutter will mich anzeigen.«
Ich drücke ihm die Luft weg.
»Max, Max. Lass mich los, bitte«, keucht er.
»Das war garantiert nicht meine Idee, dass meine Mutter bei euch war.«
Ich lasse ihn los und rapple mich auf.
Ich würde ihn so gerne noch mal treten.
»Du Arsch hast ihr doch alles erzählt.«
»Ich hab der nichts erzählt«, fängt er an.
Er setzt sich hin, wischt sich im Gesicht rum.
»Du weißt ja, letzte Woche, ne, die Sache mit der Nase. Fand ich ja echt nich' so schlimm, war ja auch aus Versehen, aber dann hat sie rumgefragt und dann hat sie sich da irgendwas ausgedacht.. Aber ich wollte das echt nicht. Glaub mir.«
»Aha, wie ich dich verprügelt und dir dein Schulgeld abgenommen hab? Zusammen mit den Lehrern? Hat sie sich ausgedacht?«
»Hast du ja auch fast.« murmelt er.
»Was?«
»Mich verprügelt. Und das war wegen Antonia, ich weiß das.«
Mein Nasenblut läuft in mein T-shirt.
Thomas greift in die Hosentasche, holt eine Packung Taschentücher raus.
»Wer ist Antonia?«
Er holt ein Taschentuch aus der Packung, lässt mich dabei nicht aus den Augen. Er streckt seinen Arm und reicht es mir. Ich schlage es ihm aus der Hand.
Er zuckt schnell nach hinten.
Wir starren uns noch eine Weile an.
»Antonia wollte gleich vorbeikommen. Wenn sie uns so sieht wird das für uns beide nicht gut sein.«
Ich starre ihn wütend an.
»Also? Frieden erstmal und wir klären das später?«
Er steht auf.
Ich rühre mich nicht.
Er guckt mich böse an.
»Na wenn du willst, dann erzähl ich ihr halt, wie Max der eifersüchtige Choleriker mich verprügelt hat.«
Er setzt sich wieder und verschränkt trotzig die Arme.
Mein Herz klopft und die Minuten verstreichen.
Bis endlich. Ein Hollandrad mitsamt sommersprossiger Brünette biegt in die Straße ein.
Thomas wippt mit dem Fuß. Meine Nase hört grade auf zu bluten.
Sie sieht uns, zieht die Augenbrauen erst verwundert, dann ungläubig nach unten.
»Was zur Hölle, Jungs?«
Sie steigt ab, guckt von mir zu ihm. Bleibt an ihm hängen.
Eine fragende Geste.
Wir sind still.
»Das hätt‘ ich nie von dir gedacht, Thomas.«
»Hä, was? Was hab ich gemacht?«
»Guck dir Max doch mal an.«
Die Blutflecken auf meinem T-shirt.
»Es sieht‘n bisschen so aus als hättet ihr euch geprügelt.«
»Ja, aber er mich doch auch.« Sein Mund steht offen.
»Du siehst aber noch ziemlich gut aus.«
Ich gucke durch die Gegend, um mich vom Grinsen abzulenken.
»Nein, hier voll gegen‘s.. guck ihn dir doch mal an, der is‘n Kopf größer als ich.«
Sie mustert mich. Ich gucke nach unten, streichle meine Nase.
»Und wieso sollte ich den überhaupt verhauen, was..was soll denn mein Motiv sein?«
»Ich seh auch nich, was Max da will. Ich versteh auch echt nich, was los is‘. Da komm ich dich zum Eisessen abholen und da steht ihr beiden hier so blutend rum und starrt mich voll gruselig an.«
Wir sind wieder still.
Sie schaut zu mir, in die Gegend, plötzlich fahren ihre Mundwinkel kurz nach oben.
»Also?«
»Nichts also, nur so.. spielerisch.«
»Spielerisch.« bestätige ich.
Sie stemmt die Arme in die Seite, nickt.
»Aha.«
Fährt sich durch‘s Haar.
»Na dann. Ich will immer noch ein Eis, aber jetzt muss Max wohl mitkommen.«
»Hä, wie….« *grummel*
Sie starrt ihn an.
Drei Sekunden lang, dann: »Na los, worauf wartet ihr.«
Sie packt ihr Hollandrad am Lenker und lässt uns stehen.
Wir folgen ihr stillschweigend im Abstand, nebeneinander, mustern uns ab und zu.
»Guten Tag, was darf's denn sein?« trällert die Thekenfrau.
»Erdbeere, Mango, Waffel.« trällert Antonia zurück.
»Thomas du bezahlst.«
Er linst mich aus dem Augenwinkel an. *Grummel*
Die Eisfrau wartet mit erhobenen Augenbrauen.
»Eine Kugel Schoko und eine Kugel Erdbeere.« will Thomas haben.
»Becher oder Waffel?«
»Ähh.. Becher bitte.«
»Und für dich?«
Der »Wildbeerenbecher deluxe« kostet extra viel und ich als Opfer dieses Konflikts habe eine Entschädigung ja wohl verdient.
Man setzt sich und wir löffeln.
»Ich mein ich bin ja auch kein Junge, aber so oft prügelt ihr euch ja sonst garnicht. ... Hmm?«
Sie lächelt in ihr Eis.
»Ich glaube du weißt schon irgendwie wieso.«
Ich gucke im Unterricht zu oft zu ihr rüber.
Thomas guckt mich ärgerlich an.
Antonia versucht ihr Grinsen im Eis zu versenken.
Wir lecken still unsere ersten Kugeln auf. Antonia lässt sich Zeit.
»Prügelt man sich unter Jungs oft wegen so Sachen?«
»Wegen allen Sachen. Du bemerkst das nur nich.«
Auch Thomas lächelt leicht: »Wegen allem, ja.«
»Du pass mal auf - In nächster Zeit haust du niemandem mehr die Nase blutig.«
Thomas zieht eine empörte Grimasse, sie fängt an zu lachen.
»Prügelt euch in nächster Zeit mal ein bisschen weniger, so generell.«
Sie beendet ihr Eis, steht auf.
»Ich muss weg. Tschüss Jungs.«
»Tschüss.«
»Tschüss.«
Thomas ist auch fertig, er guckt auf den Tisch, zu mir.
»Wie machen wir das jetzt?«
»Was denn?«
»Ja, so generell.«
»Hmm?«
»Frieden schließen oder so?«
Ich beende mein Eis bis auf einen Löffel, stehe auf und bewege mich auf ihn zu.
Ich habe mich entschlossen.
»Ich weiß ja gar nicht was du meinst, aber klar.«
Ich schmiere ihm den Löffel Eis auf die Nase und gehe.
von Tilman Immisch