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»Maske (Seelen, Kapitel 1)« von Julieta Redecker

»Warum scheint ihr immer das Bedürfnis zu haben, euer Blut überall zu verteilen?« Ich schaue an mir herab. Vor dickflüssigem Rot triefend kleben meine Hosenbeine penetrant an meinen Waden und lassen in mir ein menschliches Unwohlsein aufsteigen. Weniger ungewohnt ist die tote Frau – nein, ihr toter Körper, der unrichtig vor mir liegt.

Verbogen und gekrümmt; das bloße Betrachten erscheint einem wie eine unbefriedigende Anomalie. Als sei ihr Fleisch, ihre Knochen nur aus Gummi. Mit meinem Fuß stoße ich den Leichnam an und brumme. Wenn das bloß nicht immer so eine Sauerei hinterlassen würde. Als ich meinen Blick zu ihrem Kopf schweifen lasse, erwische ich mich dann doch bei einem Lächeln. Je mehr Köpfe rollen, Blut fließt, Leute sterben, desto mehr profitiere ich.
Die Liste schrumpft.
Doch bevor ich mich der hoffnungsgetränkten Träumerei hingeben kann, die seit Jahren mein Herz neben Ambition und Schmerz erfüllt, muss ich alle auf der Liste genannten Opfer bringen.

»Ausdrucksstarke Augen, die du da hast. Und bei deiner Art würde es mich nicht
wundern, wenn sie das Ventil sind.«
Beim Hinunterfallen hat der Kopf sich offenbar dafür entschieden, seine schuldzuweisenden Augen auf mich zu richten. Auch gut. So kann ich den letzten Ausdruck in ihren Gesichtszügen noch für einen Moment genießen. Aufgerissene Lider, die Nasenflügen aufgeblasen, der Kiefer angespannt und geöffneten Lippen, die die Form eines stummen Schreis bilden. Glänzende Wasserperlen auf ihren vorher rotglühenden, mittlerweile bleichen Wangen, bleich, als wäre das Blut aus ihren Adern getreten – o halt, das ist es ja! Schließlich greife ich in meine Jackentasche und taste nach dem ledernen Band, ziehe es heraus und halte den Stein, der daran baumelt, gen Mond. Die helle Scheibe lässt ihr mattes Licht den Edelstein durchfluten; bald wird er eigenständig funkeln. Der Kopf liegt mir direkt zu Füßen. Ich sollte langsam mit dem Zauber beginnen. Ein Klacks für mich, denn ich hatte viel Übung. Und viele Erfolge.

Beim Niederknien kann ich weitere Blutflecken auf der Hose nicht verhindern; die Hose ist neu verdammt! Ihr Körper, Kopf und ich schwimmen quasi in einer Blutlache, nein, in einem See. Sechs Liter Rot und die zugehörige Fleischhülle werden der Polizei wohl Grund genug für eine Straßensperre und ausgiebigere Ermittlungen liefern und der Nachbarschaft Albträume über das gesichtslose Ungeheuer aus den Nachrichten bescheren. Das gesichtslose Ungeheuer bin ich. Ein Mörder bin ich. Sie nennen mich seelenlos, dabei haben sie noch nie meine prachtvolle Sammlung gesehen. Skrupellos, aber sie verwechseln Massenmörder mit Serienkiller. Herzlos, doch ich beschere den Opfern einen schnellen, schmerzlosen Tod. Kein Motiv bekannt, sagen sie, ohne mich zu kennen. Ohne meine Geschichte zu kennen. Ohne Grace gekannt zu haben.
Beim Gedanken an sie packe ich grob den blutgeleerten Kopf und lasse ihn ein wenig in meinen Händen schaukeln. Ein paar restliche Bluttropfen lösen sich von ihrer Kehle und sind beim Aufkommen nur noch zwei unbedeutende Partikel des großen Unheils.

Sowie ich ihn in der Hand halte, inspiziere ich ihn an der unteren Seite des Halses. Die Wirbelsäule ist sauber durchtrennt. Keine Splitter, ein glatter Schnitt. Eine meiner Bestleistungen, würde ich behaupten. Dafür gibt es dort einige Unstimmigkeiten mit der Glätte der Haut. Am Rand sieht man einige Einschnitte, an denen die Haut kurz vorm Abblättern ist. Ich betaste sie. Hauchdünn, wie die Umhüllung einer Salami. Man könnte das Gesicht fast mühelos einreißen.
Mit einem Kopfschütteln verbanne ich diesen Gedanken aus meinem Kopf. Nur schüttle ich nicht meinen Kopf, und so spüre ich, wie die übriggebliebene Gehirnmasse gegen die innere Schädelwände klatscht. Es ist ein beruhigendes und zugleich amüsantes Geräusch, und so finde ich mich, einen menschlichen Kopf schüttelnd und dabei leise, jedoch heftig in mich hinein lachend.
Ihre leblosen Augen starren nur.

»Ach komm schon, das ist doch lustig«, meine ich überzeugt, betrachte die Sehkugeln genauer und bemerke, warum diese noch so zu starren scheinen.
Ein Außenstehender würde das Licht in ihren toten Augen für eine Reflexion halten, die ihren Ursprung entweder beim Mond, oder den Straßenlaternen findet.
»Menschen sind so dämlich! Sind die nicht dämlich?«, spreche ich und schüttle dabei den Kopf wieder. Plitsch Platsch.
Sie schwafeln etwas von Seele und Leben nach dem Tod. Und dann übersehen sie das Offensichtliche. Die Bedeutung des Lichts. Ich jedoch kenne sie und muss übermütig grinsen. Physisch kann diese Enthauptung nicht überlebt werden. Aber seelisch. Der Stein in meiner Hand wird langsam warm, doch nicht durch mein Klammern. Das Licht will hinein.

»Jetzt hetz nicht so«, schnauze ich. Meine Worte werden von einem Windstoß
verschluckt. Der Stein glüht jetzt nahezu und es verlangt mir eine Menge Beherrschung ab, ihn nicht fallenzulassen. Meine Hände sind versehen mit lauter Brandnarben. Klopfenden Herzens führe ich den Edelstein zu ihren Augen, in denen das kleine Licht mittlerweile aufgeregt hin und her hüpft.
»Liberta«, bete ich herunter.
Ein heller Strahl tritt aus dem Auge und für den Bruchteil einer Sekunde löst es sich aus der Gefangenschaft des Körpers. Doch ehe die Freiheit schmecken kann, wird der Strahl in den diamantförmigen Behälter in meiner Hand umgelenkt und aufgesogen. Während sich das Licht vom Auge trennt, wäre das Szenario leicht mit leuchtender Schleimknete zu verwechseln, die gerade auseinandergezogen wird. Schließlich erlischt das letzte Bisschen Leben dieses Körpers. Dafür funkelt nun mein Edelstein, stellt sogar den Mond in den Schatten. Nichts ist heller, als eine Seele.

»Mal sehen, wer das Chaos hier zuerst vorfindet. Viel Spaß beim Aufräumen«, raune ich bespaßt gegen die Oberfläche des Edelsteins. Mir wird mit einem Aufleuchten
geantwortet. Ich lasse die Kette aus meiner Handfläche in meine Jackentasche
zurückgleiten und hinterlasse ein letztes Zeichen. Mit meinen Fingernägeln ritze ich einen Buchstaben in die Wange des Opfers, so tief, dass mehrere Hautschichten pellen und die Wunde verzweifelt danach verlangt, sich mit Blut zu füllen. M.

von Julieta Redecker

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