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»Manchmal ist das Leben wie eine Schnecke« von Janne Brüggemann

Freudig schließe ich mein Fahrrad an. Die Sonne strahlt schon stark und um mich herum hasten Leute zum Eingang unserer Schule. Einige unterhalten sich. Andere laufen schnell auf die schwere Eingangstür aus Holz zu. Ein paar haben sich ihre Kapuze ins Gesicht gezogen und gehen langsam auf den Schuleingang zu. Ihr Blick nach unten oder starr auf die Tür gerichtet. Ich frage mich, zu welcher Gruppe ich wohl gehöre, bevor ich mich ebenfalls in Richtung Eingang drehe und beginne langsam zu gehen. Die Fahrradständer stehen fast direkt neben dem Schuleingang, aber der Weg kommt mir länger vor. Während ich gehe, schaue nach oben. Einige Fenster sind offen. Doch dann versperrt mir das kleine Dach über dem Eingang den Blick und ich gucke wieder geradeaus. Ein Schüler, ich glaube aus der 9., hält mir die Tür auf. Ich bedanke mich. Die Luft enthält jetzt schon weniger Sauerstoff. Als ich sie einatme, habe ich das Gefühl wieder komplett im Schulalltag zu sein.

Ich biege links in den ersten Flur, wo mir gleich Louis entgegenkommt. Strahlend umarme ich ihn kurz. »Wie waren deine Ferien?«, fragt Louis. »Gut, aber heiß«, antworte ich kurz. »Oh ja, man mag echt nicht glauben, dass wir in Hamburg sind! Und dann gibt es diesen Spruch: ‘Nirgendswo strahlt der Himmel so schön grau wie in Norddeutschland'. Das kannste dieses Jahr knicken«, erwidert Louis bevor wir plötzlich herumschnellen, weil jemand laut »Louis! Kim!« gerufen hat. Thyra, meine beste Freundin, kommt auf uns zugeflitzt und wirft sich in die Arme von Louis und zieht mich auch gleich mit in die Umarmung. »Ich habe euch vermisst!«, ruft Thyra. Louis windet sich aus der Umarmung und strahlt. »Was habt ihr gemacht?«, fragt Thyra. Während Louis von seinen Erlebnissen erzählt, beobachte ich Thyra. Ich erkenne, dass sie darauf brennt ihre Erfahrung zu teilen. 
Ich schaue mich um. Überall begrüßen sich Leute oder suchen nach ihren Freunden. Immer wieder schallen Rufe durch den Flur und ich werde mehr als nur einmal geschubst. Einzelne Gesprächsfetzen kommen mir entgegen. »Fuß gebrochen«, »Klettern an einer Klippe«, »waren Wasserwandern in Frankreich«.

Mein Blick fällt auf ein Mädchen etwas abseits. Sie scheint in einem Buch versunken zu sein. Ich versuche einen Blick auf den Titel zu erhaschen, was mir aber nicht gelingt. Stattdessen betrachte ich das Mädchen genauer. Sie trägt ihre Haare in einem Pferdeschwanz und hat eine kurze Latzhose an. Ich muss lächeln.

Da kommt unser Klassenlehrer Herr Neumann. Kaum hat er die Tür aufgeschlossen, schon stürmen alle Schüler in den Klassenraum. Louis, Thyra und ich versuchen drei zusammenhängende Plätze zu bekommen. Tatsächlich gelingt es uns. Als alle einen Platz gefunden haben, begrüßt Herr Neumann uns. »Nun, vielleicht habt ihr es schon gemerkt, wir haben eine neue Schülerin. Cordula«, sagt er dann auch gleich. Sofort drehen sich alle Köpfe und suchen das neue Gesicht. Ich erkenne das Mädchen mit der Latzhose wieder. Sie heißt also Cordula. Ich bemerke, dass ich wieder beginne leicht zu lächeln. 
In der ersten Stunde findet alles Organisatorische statt. Da gibt es Leute wie mich, die es interessiert und solche wie Mary und Thyra, die lieber weiter Ferienerlebnisse austauschen. 
In der zweiten Stunde wird es spannender. Die Klassensprecherwahl steht an. Es stehen schon viele Kandidaten an der Tafel. Alle in Mädchen und Jungs eingeteilt. Frustriert sehe ich es mir an. Gerne würde ich mich jetzt melden und sagen, dass ich es nicht sehr fördernd finde, dieses Einteilen in Geschlechter. Und fragen, warum die Klassensprecherwahl so eingeteilt wird? Ich meine, wir sind in der achten Klassen ja wohl schon weit genug, um nicht unsere Freunde zu wählen. Aber irgendetwas in mir blockt, also melde ich mich nicht. So in Gedanken merke ich nicht, dass jemand mich vorgeschlagen hat. Erst Herr Neumann, der fragt, ob ich es mir vorstellen könnte, zu kandidieren, holt mich wieder in die Gegenwart. 
Ich bin kurz davor ja zu sagen, doch dann fällt mein Blick auf die Tafel. Mein Name steht unter dem von Thyra. Ich lasse den Blick hochschweifen. Über den gut zehn Namen steht in Rot Mädchen. Ich spüre ein Ziehen im Magen und sage dann schnell »Nein«. Herr Neumann zuckt mit den Schultern und streicht meinen Namen. »Wenn es keine weiteren Vorschläge gibt, können wir jetzt abstimmen«, sagt er dann. 

»Warum wolltest du nicht kandidieren?«, werde ich da von Louis gefragt, während wir unsere Stimmen abgeben. Ja, warum nicht? Wie schon beim Melden davor blockierte etwas in mir und es fühlte sich falsch an. Als ich dies zu meinem Freund sage, blickte er mich forschend an und sagt dann: »Dein Gefühl wird schon seine Berechtigung haben, aber ich kann es eher nicht so nachvollziehen.« - »Du bist auch immer ehrlich«, lache ich leise, »Danke!«

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