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»Anhänger« von Carlotta Braasch

Ich schlängle mich durch die Massen der Einkaufsmall. Gesprächsfetzen dringen aus allen Richtungen an meine Ohren. Ich schlüpfe in einen kleinen Laden. Als ich eintrete, schlägt mir warme Luft entgegen. Ein wohliger Schauer läuft mir über den Rücken. Es riecht wie früher bei meiner Oma.
Der Laden ist mit unzähligen Plüschtieren und so einem Zeug zugestopft. Kuscheltiere in allen möglichen Farben und Größen. Ich lächle. Vielleicht finde ich ja hier endlich ein Geburtstagsgeschenk für meine kleine Cousine. Etwas Blaues im Augenwinkel zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Es ist ein Delfinanhänger. Ich nehme ihn in die Hand, um ihn näher zu betrachten.
Mein Handy klingelt: Ich zucke zusammen. Dabei rutscht mir der Anhänger aus der Hand. Ich hocke mich hin und will ihn aufheben. Ein Fußpaar tritt in mein Blickfeld.
»Lange nicht gesehen, Fleur.« Bens Stimme ist rau und sanft zu gleich.
Ich richte mich auf und schaue ihn an.

Ein verschmitztes Lächeln hat er auf den Lippen. Schnell schaue ich angestrengt auf ein süßes Bärenkissen hinter ihm.
»Naja, so lange war es ja auch nicht.« Ich schaue ihn an. »Wir haben uns doch vor zwei Tagen im Mathekurs gesehen.« Wir sind, bis auf die Verkäuferin, die einzigen im Laden. Sie strickt hinter der Kasse an einem Schal.
»Du hast mich ignoriert und bist mir, die letzten Tage immer, aus dem Weg gegangen … Ist irgendwas passiert? Hast du Probleme zuhause? Wenn ja, sag es mir doch einfach!« Bens Stimmenlage wechselt ins Besorgte.
»Hmmm.« Ich angle mein Handy aus meiner Tasche und tue so, als hätte ich eine Nachricht. Ich schreibe schnell meiner Mom: »Kannst du mich früher abholen? Bitte!«
Ben fragt: »Was ist los? Alles gut?«
»Warte kurz, ja?«
Nun kommt wirklich eine Nachricht: »Sorry Schatz, kann dich nicht früher abholen. Schaffst du es nicht sonst auch alleine nach Hause?« Ich hefte mein Blick weiter auf das Handy und schreibe: »Mom…bitte?!«
Ben hakt nach: »Und, scheint ja was Wichtiges zu sein.« War ja klar. Ewigkeiten hätte ich mich sowieso nicht hinter meinem Handy verstecken können. Mom ist jetzt offline.
»Hat sich erledigt«, murmele ich. Langsam stecke ich das Handy zurück in meine Tasche. Ben sieht mich erwartungsvoll an. Ich beginne ihn zu mustern.
»Also?«
Ich hätte beinahe den Anhänger wieder fallen lassen und mache automatisch einen Schritt zurück. Der Ausdruck in seinen Augen ändert sich, kaum erkennbar. Er wird härter.
Versteht er denn nicht? Ich will nicht antworten. Ich spiele mit dem Gedanken, wegzulaufen und mir einfach etwas zum Verkleiden zu kaufen, damit er mich nicht mehr findet. Streiche mir das aber schnell aus dem Kopf.
Ich seufze. Auch er seufzt. »Komm schon Fleur, rück endlich mit der Sprache raus. Ich bin es wirklich leid, hinter dir herzulaufen und dann ignoriert zu werden.« Er fährt sich durch die Haare. »Ich dachte wirklich, du verbringst gerne Zeit mit mir. Wir hatten doch immer was zu lachen und so. Ich dachte du magst mich!« Das stimmt. Ich mag ihn, doch nur als Freund.
»Ist doch auch so …«
»Siehst du, also wo liegt das Problem? Gibt mir doch wenigstens eine Chance, dich zu verstehen!«
Tief ein, tief aus, dann flüstere ich: »Erinnerst du dich nicht mehr?« Es ist das einzige Geräusch im Laden.
Ben steht mit einer in Falten gelegten Stirn vor mir. Er schüttelt langsam den Kopf. »Hilf mir auf die Sprünge.«
Sein Lächeln wird etwas schiefer. Mein Blick wandert durch die große Fensterscheibe nach draußen. Draußen geht ein schlaksiger Mann mit vier Kugeln in einer Eistüte vorbei. Ein weinendes Kind zieht an der Hand seiner Mutter. Zwei zwölfjährige Mädchen stehen vor einer Truppe Teenager-Jungs. Die Mädchen sind übertrieben geschminkt und tragen etwas zu anzügliche Sachen. Die Jungs sind vier Jahre älter als sie. Ich könnte mir zu jeder Person da draußen eine Geschichte ausdenken, doch zu meiner und Bens bleibe ich ideenlos.
»Die Party …, Linas Party, Freitag vor einer Woche«, ernst schaue ich ihn an. Er sieht aus, als würde es in seinem Gehirn rattern. Er stockt und schaut mich entgeistert an. »Nicht dein Ernst, oder!? Deshalb musst du dich doch nicht so verhalten!«
Er macht einen Schritt nach vorne. Ich weiche leicht zurück.
»Ich war betrunken okay?! Da ist es normal, dass man alberne Sachen sagt und macht. Es war doch nur ein alberner Kuss und ein Liebesgeständnis!« Er nimmt meine Hand. Ich will sie zurückziehen, doch das lässt er nicht zu.
»Das weiß ich doch auch, aber ich brauche Zeit, okay? Zeit für mich … alleine ohne dich.«
Ben nickt nur etwas abwesend, seine Hand rutscht an meiner ab.
»Ist gut … «
Er hört sich nicht an, als wäre alles gut. Ich drehe mich um und bezahle schnell den Anhänger. Warum kann meine Geschichte hier nicht so gut enden wie meine ausgedachten? Mit Tränen laufe ich aus dem Laden.

Carlotta Braasch © Literaturhaus, Fotografin Sophie Daum
Carlotta Braasch © Literaturhaus, Fotografin Sophie Daum

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