»Herzlich willkommen, Herr Grefeld, folgen Sie mir, heute beginnt ein neuer Karriereabschnitt. Ich bringe Sie gern zu Ihrem Büro.«
In zwei Wochen wird Taddäus Grefeld sein dreißigstes Jubiläum als Angestellter der Kraftstoff-Kühne AG feiern. Und schon heute hat er es geschafft. So viele Jahre der Loyalität und Vernachlässigung von Leidenschaften haben ihm die erhoffte Beförderung ins Management eingebracht. Er wird gleich zum ersten Mal sein Einzelbüro betreten, mit Eichenholzschreibtisch und Ledersessel. Die Konjunktur ist gut zur Zeit.
Herr Grefeld schreitet langsam durch das Foyer des Gebäudekomplexes A. Sein Magen grummelt etwas, als hätte er falsch gegessen. Er hat heute Porridge gehabt, wie meistens. Meistens ging es ihm danach nicht so.
»Na, Herr Grefeld, aufgeregt?«
Er trägt seinen besten, einen grauen Leinenanzug, besonnen am Morgen ausgewählt. Ein Geschenk seiner Eltern zur Silberhochzeit. Die hatte letztes Jahr in kleinem Kreise stattgefunden. Taddäus Grefeld wird jetzt von der Sekretärin durch die Flure des Gebäudekomplexes A der Kraftstoff-Kühne AG geführt. Er denkt an den Blick aus seinem Küchenfenster und an die Krähe die heute auf dem Fenstersims gesessen hatte. Denkt ans Porridge, in dem er nebenher gestochert hatte. An die Fahrt im 10er. Da war’s losgegangen.
»Herr Grefeld?«
»Ach ja, äh, ja. Aufgeregt? Ein bisschen.«
Die Sekretärin gluckst leicht. Herr Grefeld, der sonst sehr gut, vielleicht auch nur sehr aufmerksam mit Namen ist, hat sich ihren vorhin nicht gemerkt. Das ist ihm sehr peinlich.
Sie treten durch die Tür, auf der eine kleine Messingplakette mit Gravur befestigt ist: »T. Grefeld«. Herrn Grefeld schießt etwas Wärme in den Kopf. Wie vorige Woche im Büro des Chefs. Der Chef hatte ihm zur Beförderung eine Zigarre angeboten und er hatte ohne zu Zögern beides angenommen, obwohl er normalerweise gar nicht raucht. Den Rest des Tages hatte er fürchterliche Kopfschmerzen gehabt. Aber so wie jetzt hatte er sich nicht gefühlt.
»Och nein. Es tut mir schrecklich leid, Herr Grefeld. Eigentlich sollte schon alles fertig sein. Einen Moment.«
Die Sekretärin guckt durch einige Kartons, die in dem riesigen Büro verteilt sind. Eine große Schreibtischlampe steht auf dem Boden.
Die Sekretärin stellt die Lampe schnell auf den großen Bürotisch in der Mitte des Raums. Hinter dem Tisch steht ein großer lederner Bürosessel.
»Manomann. Passt das so mit der Lampe?«
Herr Grefeld guckt noch einmal auf das kleine Messingschild an der Tür.
Alles perfekt so.
»Sie übertreiben. Aber immerhin: Sogar eine Pflanze haben Sie bekommen. Steht die gut so am Fenster?«
»Ähm, ach, ich mach das einfach gleich selber …«
»Ach, stellen Sie sich nicht so an. Ich stelle Sie auf das Sims, da hat sie Licht.«
Herrn Grefelds Knie sind etwas weich. Neben ihm steht ein merkwürdig eckiger, kleiner Sessel. Er setzt sich.
»Ach, Herr Grefeld. Der Corbussiersessel, der ist doch nicht zum Sitzen da.«
Sie kichert. Herr Grefeld springt schnell auf.
»Auf den bin ich ja ein bisschen neidisch. Sie haben Glück, dass die Zahlen für letztes Jahr so toll waren. Man ist sehr großzügig grade. Oh, ist das Ihre Frau?«
Herr Grefeld stellt sich schnell zum Karton mit den Sachen aus dem alten Büro.
»Ach, den Karton mache ich schon selber.«
»Oh, Verzeihung. Ich war zu neugierig. Na, wie Sie meinen. Und falls Sie was brauchen, einfach melden. Sie können mich auch anrufen. Sie wissen, wie? «
»Äh, Ich finde das schon raus.«
»Ja, sonst kommen Sie vorbei, die Wege müssen sie ja auch mal kennenlernen. Raum 321. Sonst erreichen Sie mich über die 6547. 6-5-4-7.«
»6-54 … äh?«
»7. Ach, ich schreibe Ihnen das einfach mal auf. Ach noch eines. Heute lasse ich Ihnen das Essen vorbeibringen, damit Sie sich in Ruhe einrichten können. Ab morgen können Sie dann gern im GF-Bereich der Kantine speisen.«
Die Sekretärin zwinkert. Dann huscht sie aus dem Raum. Herr Grefeld setzt sich in den großen Ledersessel hinter den großen Schreibtisch. Eine Insel mitten im riesigen Büro. Die Decken sind viel höher als in seinem alten Büro. Er seufzt und guckt zum Bürofenster. Die Pflanze steht in der Mitte des Simses. Er steht auf und verrückt sie etwas. Unter ihm die große Hauptstraße. Der Zehner hält gerade an der Haltestelle.
Zur Mittagszeit ruft ihn die Sekretärin an und fragt, ob es ihm Recht wäre, wenn jetzt das Mittagessen geliefert wird.
»Ach ja, natürlich. Danke.«
Das Essen schmeckt nicht besonders, und er kleckert auf den Eichenholztisch. Normalerweise würde er sich um diese Zeit mit den Kollegen aus dem Großraumbüro in der Kantine im anderen Gebäude unterhalten - vielleicht über die Beförderung eines ehemaligen Mitarbeiters aus dem Großraumbüro in das mittlere Management - und das Essen gar nicht so recht registrieren. Aber jetzt sind es nur er und das Essen. Und da findet er zum ersten Mal in dreißig Jahren, dass es doch recht fad ist.
»Hat es geschmeckt?«
Eine Küchenhilfe räumt den noch halbvollen Teller ab.
»Wie immer, danke.«
Dann kommt noch einmal die Sekretärin vorbei.
»Hier das müssten Sie noch schnell unterschreiben. Oh, sie haben ja den Karton vergessen. Aber das ist ihre Frau, oder?«
Herr Grefeld hat den Karton ganz vergessen.
»Jaja, das ist meine Frau. Syglinde.«
Er stellt schnell die Inhalte des Kartons auf den Schreibtisch. Er hat sowieso nur drei Bilder und ein Flaschenschiffchen. Ein Geschenk der Kollegen zur Silberhochzeit.
Als es dunkel wird, setzt sich Herr Grefeld in den Zehner. Normalerweise würde er länger bleiben, seine Frau ist auf Dienstreise - das ist sie oft -, und er hat zu Hause auch nichts Besseres zu tun. Aber heute ist er pünktlich zu den Nachrichten vorm Fernseher, und liegt auch viel zu früh im Bett, um zu schlafen. Er guckt Richtung Fenster und seufzt. Das Licht der vorbeifahrenden Autos fällt durch die Schlitze in der Jalousie und stört ihn.
Hatte er sich das nicht immer anders vorgestellt?