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»Mördernachrichten« von Emma Hertzog (Auszug)

Mitch konnte den Stolz spüren, der seine Brust anschwellen ließ, bei der Planung seiner zweiten Tat war er sich des Risikos bewusst gewesen, das er beim Betäuben der Techniker eingehen würde. Aber er war wieder einmal perfekt gewesen. Kein Grund zur Sorge. Ordnung war seine stärkste Waffe. Solange er sie besaß würde alles perfekt laufen. Nach Plan. Dass Michaela direkt vor ihm stand, fiel ihm erst auf als ein starker Geruch nach Sandelholz und Pfirsichen in seine Nase stieg. »Es freut mich sehr, dass Du meine Artikel verfolgst. Ich hoffe Du interessierst dich wirklich für sie und versuchst nicht nur höflich zu sein. Wenn das so ist musst du sie auch wirklich nicht weiterlesen. In letzter Zeit drehen sie sich irgendwie nur noch um so schreckliche Sachen. Das verkauft sich natürlich auch gut, aber ich habe das Gefühl es wird immer schlimmer. Was ich schon wieder für einen Fall für heute Abend bekommen habe …« Der süßliche Geruch kam noch näher und sie sprach mit gesenkter Stimme weiter: »Das muss natürlich wieder unser Geheimnis bleiben, aber es geht um einen Mann, der … seine eigene Tochter umgebracht hat.« Der Geruch entfernte sich wieder etwas. »Also diese Verrückten übertreffen einander immer wieder.«

Er konnte spüren wie sich seine Muskeln verkrampften. Seine Hand ballte sich in seinem Schoß zur Faust. Seine Zähne bohrten sich in seine Unterlippe. Der Hass auf diese nach Parfum stinkende Frau in ihrem dämlichen, grün-lila Kostüm überkam ihn stärker als je zuvor, begleitet mit dem Wunsch sie für immer daran zu hindern auch nur einen weiteren Artikel zu schreiben. Aber ihm durfte diese Situation nicht entgleiten. Das wusste er. Jetzt hier, vor all den Leuten musste er die Kontrolle über sich und die Situation behalten. Ordnung. Sein Augenlid zuckte und der Gedanke an seine stärkste Waffe schaffte es die blutigen zu überwältigen.

Er hatte seinen Körper wieder in der Hand. Seine Finger fielen entspannt zurück in den Schoß und seine Lippen verformten sich zu einem mitleidigen Lächeln. „Ich bewundere es, dass sie es schaffen diese Arbeit zu machen. Mir fällt es ja schon schwer von diesen Dingen zu lesen.“ Auch Michaela lächelte jetzt stolz, bevor sie einen Blick auf die Armbanduhr am linken Arm warf und mit dem rechten an ihrem Koffer zerrte. „Huch, da habe ich ja wirklich ein bisschen lange gebraucht, was? Aber naja, wenn wir uns beeilen sollte das ja noch zu schaffen sein.“ Kontrolle. Wieder blitzte dieses Wort in seinem Kopf auf. Das Bild was er jetzt abgab gefiel ihm überhaupt nicht. Ein ca. 30-45 jähriger Mann, der leicht keuchend neben einer noch älteren Frau in einem dämlichen grün-lila Kostüm herrannte. Sein schwarzer polterte neben dem orangenen Koffer über den Gehweg der Innenstadt. Kein Bild von Ordnung.
Den Zug bekamen sie immerhin noch und Mitch fühlte sich ungewohnt dankbar als er sich auf den Sitz neben Michaela fallen ließ. Auf den Sitz in der ersten Klasse. Ihre Redaktion hatte die Kosten für die Tickets übernommen und jetzt fand er sich in diesem Paradies wieder. Das Bild, das er jetzt abgab gefiel ihm, selbst wenn es durch einen grün-lila Farbklecks gestört wurde. Wie er mit ausgestreckten Beinen auf dem mit Echtleder bezogenen Sitz saß und ein Glas Milch auf der Ablagefläche neben sich stehen hatte. Er bildete sich sogar ein, dass es angenehmer roch als in diesen zugemüllten Großraumabteilen der zweiten Klasse. Irgendwie frischer und ordentlicher. Und dann war da noch die junge Blondine auf dem Sitz neben ihm. Ein Farbklecks mit schwarzem Kostüm, der das Bild definitiv besser machte. Er fragte sich wie sie wohl hieß und wusste wiederum, dass das keine Rolle spielte. Ordnung. Er konnte es nicht verantworten noch mehr Änderungen an seinem Plan vorzunehmen. Auch wenn ihr Anblick, dieses schwarze, heiße Gefühl in ihm weckt. Das Gefühl, das ihn schon seit der Kindheit begleitete. Damals hatte er es nicht verstanden, nicht gewusst was er tun musste, um es zu befriedigen. Es hatte lange gedauert das herauszufinden, viel länger als er gebraucht hatte, um zu verstehen, dass er das Gefühl besser niemandem gegenüber erwähnen sollte. Das erste Mal war es gekommen, als er sechs war. Alles hatte ihn zu dieser Zeit genervt. Die Schule war kein passender Ort für ihn. Die anderen Kinder waren laut und unordentlich und die Lehrer interessierten sich nicht dafür über Themen zu reden, die er wirklich interessant fand. Natürlich hatten seine Eltern das nicht verstanden und ihn trotzdem an diesen hässlichen Ort geschickt. Als dann noch seine ältere Cousine für eine Woche zu Besuch gewesen war und ihr Make-Up und die Klatschzeitschriften im ganzen Haus liegengelassen hatte, hatte ihn die schwarze Hitze das erste Mal befallen. Wie ein Parasit war sie in seinen Körper eingedrungen und hatte diesen gesteuert. Er hatte versucht dieses eigentlich unbeschreibliche Gefühl erst seinen Eltern und dann dem Therapeuten, zu dem sie ihn geschleppt hatten zu erklären, doch alles was ihm das gebracht hatte, waren verständnislose, besorgte Blicke und unangenehme, erfolglose Therapiestunden. Von da an war er still geblieben und hatte sich an die schwarze Hitze gewöhnt, hatte sie irgendwann sogar willkommen geheißen, als er bemerkte, dass sie ihm half und den nötigen Antrieb verschaffte, um seine Ziele zu erreichen. Bei seinem Bewerbungsgespräch für den Job als Sofwareentwickler hatten sie ihn sogar für den Ehrgeiz und die Willensstärke gelobt, die er in seinem Bewerbungsanschreiben erwähnt hatte. Diese Worte kamen zwar nicht ganz an das ran, was die schwarze Hitze wirklich war, aber es waren die besten und für eine Bewerbung elegantesten, die er finden konnte. Nachdem er den Job bekommen hatte, hatte er nur ein weiteres und letztes Mal versucht die schwarze Hitze zu beschreiben. Das war Alice gegenüber gewesen. Er versuchte die Erinnerung aus seinem Kopf zu verbannen, aber natürlich nahm der Gedanke an diesen Abend nur noch mehr Platz in seinem Gehirn ein und verbannte sogar den Gedanken an Ordnung aus seinem Kopf. Mitch war kurz davor gewesen die Tür zu ihrer gemeinsamen Wohnung aufzuschließen, als er die Mischung aus Dreck, Schweiß und dem ekelhaft süßlichen, billigen Deo gerochen hatte. Der Geruch der fetten, alten Frau aus dem Stock über ihm die die Treppe hochschnaufte. Agnes Bocker. Als er sich dann umgedreht und einen Blick auf die Frau mit den grauen, hochgesteckten Haaren und dem altrosa Kleid gerichtet hatte, war die schwarze Hitze in seinen Körper gekrochen und hatte sich diesen zu eigen gemacht. Sein Körper nahm sie dankbar auf. Dieses Gefühl, dass ihm inzwischen so bekannt und freundlich schien, manchmal sogar mehr als Liebe. Eine Emotion, die er ohnehin nie ganz verstanden hatte. Trotz Alice. Und trotzdem hielt dieser Name eine bestimmte Macht über ihn und als er ihm in dieser Situation mit Frau Bocker in den Kopf gekommen war, hatte er erst sich und dann den Schlüssel im Schloss umgedreht und war in der Wohnung verschwunden. Im Dunklen Flur ihrer ersten gemeinsamen Wohnung, zwischen seinen und ihren Jacken, alten und neuen Schuhen hatte er zum ersten Mal seit seiner Kindheit beschlossen jemandem von der schwarzen Hitze zu erzählen. Alice hatte er auf ihrem Sofa sitzend gefunden. So friedlich, dass er es sich fast wieder anders überlegt hätte. Aber seine Entschlossenheit hatte überwogen und natürlich hatte sie, perfekt wie sie war, sofort gemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimmte… Vornübergebeugt. Kopf auf dem Lenkrad. Blut. Rauch. Schreie. Er rennt auf den schräg stehenden roten Audi zu. Ihr Kopf auf dem Lenkrad. Sein Augenlid zuckte dreimal und holte ihn wieder in die Gegenwart zurück. Besorgt sah er sich im Abteil um doch niemand schien ihn zu beachten. Michaela schnarchte neben ihm, die Blondine redete laut in ihr Handy und selbst die schwarze Hitze hatte ihn verlassen.

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